Jannik, 9. Klasse Gymnasium, kommt mit Mathe einfach nicht zurecht. Okay, es ist ein bisschen Pubertät dabei, dass das mit den Wurzelfunktionen nicht in den Schädel will, darauf führt es jedenfalls sein Mathelehrer zurück. Blöd nur, dass da jetzt seine Eltern auch nicht mehr so recht durchblicken, das ist schon mühsam, wenn Vater abends auch keine rechte Erklärung für die Hausaufgabenstellung hat.
Solche oder ähnliche Situationen veranlassen Eltern früher oder später über Nachhilfe nachzudenken. Nun gibt es da mittlerweile eine Riesenfülle von Anbietern: Der Nachhilfelehrer, der nach Hause kommt. Der Gruppenunterricht in einem Institut. Die online-Nachhilfe als Wissensportal und chat oder als live Eins-zu-Eins-Unterricht. ...
Was sollte man berücksichtigen?
Zunächst einmal: Nachhilfe ist etwas komplett anderes als die Hilfe bei der Lösung von Hausaufgaben. Hausaufgaben sollen das in der Schule Behandelte vertiefen und einüben. Nachhilfe dagegen setzt davor an: Es gilt das in der Schule aktuell nicht Verstandene zu erarbeiten und das Wissen ins eigene kognitive Wissensnetz zu integrieren. Das setzt voraus, das die Lernausgangslage des Schülers vorab klar ist. Daher sollte ein guter Nachhilfelehrer immer eine Diagnosephase zu Beginn der Nachhilfe stehen haben, wie er auch nach jeder Stunde sehen muss, wo die Wissenslücken sind und der Schüler gleichzeitig klar formulieren kann, was er denn nun in der Stunde erarbeitet hat. Deshalb ist es ein schlechter Nachhilfeunterricht, wenn der Lehrer sich nur grob vom Schüler skizzieren lässt, was aktuell behandelt wird und dann sofort in eine Erarbeitungsphase eintritt. Was, wenn der Schüler damit überfordert ist, weil er auch vorgelagertes Wissen noch nicht verstanden hat?
Ein weiteres Missverständnis ist es, wenn Nachhilfe als Erklärstunde verstanden wird. Mal ehrlich: Wenn es nur um das Erklären ginge, dann gibt das Internet mittlerweile so viel her, da könnte man sich viel Geld sparen. So funktioniert nur schulisches Lernen eben nicht. Der Wissenserwerb setzt eine AKTIVE Beschäftigung mit dem Lerngegenstand voraus. Aufgabe des Lehrers ist es also nicht, mal schnöde etwas zu erklären, was dann nur noch eingeübt werden muss. Wissen zu erwerben bedeutet, vorhandenes Wissen zu aktivieren, neue Inhalte mit bekannten Inhalten zu verknüpfen, über Lösungsideen zu reflektieren, verschiedene Ideen vielleicht auch erst einmal nebeneinander zu stellen, um sie dann zu prüfen. Ein guter Nachhilfelehrer setzt also nicht gleich zu langen Erklärungen an, sondern stellt geschickt Fragen an den Schüler, lässt Falschaussagen vielleicht sogar zunächst wertungsfrei zu, um den Schüler die Möglichkeit zu geben, seine Lösung zu finden.
Das bedeutet aber: Ein dozierender Nachhilfelehrer ist zumeist kein guter Nachhilfelehrer. Um zu erkennen, ob der Lehrer ein dozierender ist, reicht es oft, einfach den Redeanteil des Lehrers ins Verhältnis zu setzen zum Zeitanteil der Arbeitsaktivität des Schülers.
Was noch? Ja, Nachhilfe hat seinen Preis. Hier sollte man immer das Gesamtpaket sehen: Ein Nachhilfelehrer, der nach Hause kommt, hat in der Regel Fahrtkosten und Anfahrtzeit, die mit entgolten werden sollten. Ein Institut hat Räume und Angestellte zu bezahlen. Ein guter Nachhilfelehrer spricht nach Ihrer Einwilligung auch mit dem Fachlehrer, der den Schüler ja in der Regel viel länger kennt und eine differenziertere Einschätzung über das Lernniveau geben kann. Auch das ist Arbeitszeit. Ein Nachhilfelehrer, der eigenes Unterrichtsmaterial verwendet, hat ebenfalls weitere Auslagen. Guter Nachhilfeunterricht setzt zudem voraus, dass man für Vor- und Nachbereitung zumeist ca. 15 Extraminuten für eine 90-Minuten-Einheit einkalkulieren muss. Bezahlt wird zumeist trotzdem nur für die Unterrichtsstunden. Also was ist ein fairer Preis?
Das ist nicht so leicht zu beantworten: Der dozierende Professor, der nebenher für 30 Euro die Stunde Unterricht gibt, ist das Geld vielleicht gar nicht so wert, weil ihm die didaktische Kompetenz für gute Nachhilfe fehlt. Der Student, der für 7,50 € in einem Nachhilfeinstitut schuftet, und im Gruppenunterricht die hohe Kunst der Binnendifferenzierung beherrscht, die Schüler zum Nachdenken und Tun anregt und bei einer Fünfergruppe mit 15 Minuten für Vor- und Nachbereitung nicht hinkommt, ist dagegen eindeutig unterbezahlt.
Ich will also bewusst keinen Preis nennen, denn wichtig ist, dass der Preis in richtiger (und damit meine ich auch von Ihnen gefühlter) Relation zur Qualität des Unterrichts und all den Aufwendungen steht, die der Unterricht erfordert.
Qualität meint einen aktiv-entdeckenden Lernstil, ein Lehrer, der eher als Moderator oder Coach agiert, einen Unterricht, der nicht von Stunde zu Stunde geplant ist, sondern kurz-, mittel- und langfristige Lernziele für den Schüler formuliert und Maßnahmen und Arbeitsmittel an diesen Zielen ausrichtet. Fragen Sie ruhig nach, wenn sie einen Nachhilfevertrag abschließen:
Wie wird unterrichtet? Welchen Förderplan gibt es (wie differenziert ist dieser? "Fünf weg - oder Geld zurück" ist kein Förderplan und einfach nur unseriös)? Welche Arbeitsmittel werden eingesetzt? Wird Ihnen angeboten, mit der Schule zu sprechen?
Dabei ist auch zu berücksichtigen: Wie ist die Beziehungsqualität des Nachhilfelehrers zum Schüler? Sprich: Der Sympathiefaktor spielt gerade auch für die Motivation eine wichtige Rolle. Verkürzt gesprochen: "Mathe ätzt.Nachhilfelehrer finde ich lustig. Mathe-Nachhilfe ist manchmal lustig. Mathe-Aufgabe ist ätzend, aber warte mal, da habe ich ja in der letzten Stunde ... und dann war das lustig und ... ja, so ging die Lösung." Der Wissenabruf gelingt besser, wenn der Erwerbsprozess positiv emotional besetzt ist. Auch hieran hakt es ja oft: Man versteht nichts mehr, man hat keinen Spaß mehr und es rauscht an einem vorbei. Spaß allein hilft allein sicherlich auch nicht zum Verständnis, aber Sympathie macht die Aufnahmebereitschaft schon leichter. Also fragen Sie auch danach, wie ihr Kind den Lehrer findet.
Leider finde ich, dass die öffentliche Betrachtung des Themas Nachhilfe zumeist an den pädagogisch-psychologischen Qualitätskriterien vorbei geht und sich vornehmlich auf die Marktbeschreibung und einer politischen Bewertung derselben konzentriert. Aus wissenschaftlicher Perspektive wäre es doch viel sinnvoller, methodisch-didaktische Prinzipien für Nachhilfeunterricht zu evaluieren und daran orientiert dann eine Ökonomiedebatte zu führen: Welche Form des Nachhilfeunterrichts ist am effiziensten für den Lerngewinn des Schülers, hat also die günstigste Invest / learning benefit - Relation?
Nur eine mögliche Beispielfragestellung: Wie oft sollte Nachhilfe pro Woche sein? Wie lange am Tag? Was, wenn es einen größeren Anfahrtsweg zur Nachhilfe gibt? Dann wird der Invest ja größer, die relation verschiebt sich dann. usw.
Hierzu fällt mir sicherlich in nächster Zeit noch mehr an Fragen ein, die man in sinnvolle Forschung zur Nachhilfe münden könnten. Mehr also demnächst. Bis dahin erstmal.
Mittwoch, 8. Oktober 2014
Freitag, 22. August 2014
Lernschwächen und Anstrengungsmangel von Schülern
Die Frage nach der Henne oder dem Ei und das Lerntagebuch als
Vorschlag zum Ausweg
Dann kommen wir Schulpsychologen bei Kontaktaufnahme durch
die Eltern ins Spiel, versuchen die Über- oder Unterforderung konkreter zu
fassen und Vorschläge für inner- oder außerschulische Differenzierung zu geben.
Förderunterricht, Nachteilsausgleich, Lerntherapie, Nachhilfe, … und dann wird
alles gut …! Oder?
Manchmal komme ich ins Grübeln: Was, wenn zumindest die
Überforderung im Lernstoff nicht Ursache, sondern Folge der mangelnden
Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft ist? Die Überforderung durch den Stoff
die Motivationslage allenfalls noch verschärft? Woher kommt so etwas denn dann,
dass Kinder einfach keinen Spaß am Lernen finden und sich nicht mit dem Stoff
auseinander setzen wollen?
Die Ursachen können vielfacher Art sein, haben aber auch oft
damit zu tun, dass nicht/zu wenig bislang erfahren wurde, wie sich Anstrengung
lohnen kann, sei es am eigenen Tun, indem die Anerkennung und Würdigung von
Arbeitsergebnissen durch Erwachsene ausbleibt, oder durch Beobachtung am
Vorbild, also vor allem Eltern, die sich anstrengen, um beispielsweise das Haus
abzubezahlen, das Auto kaufen zu können oder die Wohnung selber renoviert zu
bekommen. Und die glücklich sind, etwas sich Vorgenommenes erreicht zu
haben. Dazu gehört auch die kindliche Fähigkeit
zum Bedürfnisaufschub, also in Kindertagen zu lernen, dass manche Bedürfnisse
nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit oder eben nach mehrfachen
Bemühen befriedigt werden. Abwarten und Erarbeiten also. Das müssen die
Erwachsenen Kindern vermitteln und dabei auch konsequent bleiben.
Und manchmal fehlt auch der Überblick, was eigentlich erwartet
wird in der Klasse, beim Lernen. Dann wird gelernt, weil der Lehrer eine Idee
hat, der man jetzt einfach als Schüler einmal so folgen soll. Aber was ist mit
eigenen Vorstellungen der Kinder? „Ich will lesen/schreiben/rechnen lernen.“
Kaum ein Grundschüler, der hier nicht zustimmen würde. Lohnt es sich da nicht
mal zu vertiefen und nachzufragen, was man denn dafür Können und Tun muss?
Kinder einbinden ist für die Motivation so wichtig. Auch wenn als erste Antwort
vielleicht ein „Ich will lieber spielen.“ kommt. Denn es ist ebenso wichtig,
klarzustellen, dass Schule auch und besonders ein Ort des Lernens ist. Also
nicht: Spielen oder lernen? Sondern: Lernen! Und über welche Inhalte, darüber
will ich mich mit Dir einigen, das ist mir wichtig, dass wir hier „am gleichen
Strang ziehen“.
Das Führen eines Lerntagebuchs kann dabei sehr hilfreich
sein: Zu Wochenbeginn geben Sie einen Überblick, was in dieser Woche Thema ist,
also, was sie als Lehrerin bewirken wollen, aber auch der Schüler reflektiert
seinen Lernstand und soll sich äußern, was er jetzt lernen kann. Diese gilt es
schriftlich zu fixieren.um am Ende der Woche zu kontrollieren, was erreicht
wurde, was nicht und was nun zu tun ist, um das Ziel doch noch zu erreichen.
Auch: Was hat das Lernen vielleicht behindert, was hat mir geholfen?
Während die Zielfestlegung zu Beginn der Woche den
Lernwillen unterstützen kann, ist das Reflektieren am Ende bedeutsam für das
Verankern des neuen Stoffs. Man behält halt etwas länger und kann es später
leichter abrufen, wenn man darüber redet und es so dem „passiven Konsum“ etwas
entzieht.
Folgenden Link mit praktischen Vorlagen finde ich hierbei
ganz hilfreich:
Anstrengungsbereitschaft soll also ein bisschen aus dem
Reflektieren über die Anstrengung erwachsen. Klappt nicht immer, ist aber einen
Versuch wert, finde ich.
Montag, 4. August 2014
Mal und Geteilt verstehen lernen
„Malrechnen, das kann ich. 5 mal 5 sind 25, das ist meine Lieblingsaufgabe.“
Justine, dritte Klasse, rechnet auch andere Malaufgaben des kleinen Einmaleins laut und richtig vor. Also alles Bestens sollte man meinen. Warum sie es aber nicht schafft, fünf Pakete mit je fünf Steinen aus den 25 ihr zur Verfügung stehenden Steinen zu legen, macht stutzig. Das „Pakete-Bilden“ hat mit ihrer „Malrechen-Welt“ offenbar nichts zu tun.
„36 durch 6, das sind: 6 durch 3 und 6 durch 6, also 2 und 1, also 21.“
Ansgar rechnet wild durcheinander, aber eine – leider falsche – Struktur ist erkennbar: Die Stellenwerte isoliert voneinander, dabei wird Divisor und Dividend vertauscht. 36 Bonbons auf sechs Kinder aufteilen, das kann Ansgar aber: Reihum bekommt jedes Kind je ein Bonbon und zwar solange, bis das letzte Bonbon verteilt ist. Dann haben alle Kinder je sechs Bonbons. „Hat das was mit Geteiltrechnen zu tun?“ Ansgar verneint.
Justine und Ansgar verbindet die Tatsache, dass in ihrer Vorstellung das Mal- und Geteiltrechnen eine Angelegenheit der Zahlenwelt, nicht aber der „Anzahlwelt“ ist. Das bedeutet, multiplizieren und dividieren sind in ihrem Verständnis Operationen nach definierten Regeln mit Zahlsymbolen, aufteilen, einteilen, verteilen usw. dagegen Vorgänge in der realen Mengenwelt. Diese Separierung macht es dann schwierig, Einsichten zu gewinnen: Die Malreihen auswendig zu können, heißt nicht, sie verstanden zu haben. Beim Geteiltrechnen Dividend und Divisor auseinander zu halten, kann nur verstanden werden, wenn klar ist, was auf Mengenebene konkret geschieht.
„36 durch 6, das sind: 6 durch 3 und 6 durch 6, also 2 und 1, also 21.“
Ansgar rechnet wild durcheinander, aber eine – leider falsche – Struktur ist erkennbar: Die Stellenwerte isoliert voneinander, dabei wird Divisor und Dividend vertauscht. 36 Bonbons auf sechs Kinder aufteilen, das kann Ansgar aber: Reihum bekommt jedes Kind je ein Bonbon und zwar solange, bis das letzte Bonbon verteilt ist. Dann haben alle Kinder je sechs Bonbons. „Hat das was mit Geteiltrechnen zu tun?“ Ansgar verneint.
Justine und Ansgar verbindet die Tatsache, dass in ihrer Vorstellung das Mal- und Geteiltrechnen eine Angelegenheit der Zahlenwelt, nicht aber der „Anzahlwelt“ ist. Das bedeutet, multiplizieren und dividieren sind in ihrem Verständnis Operationen nach definierten Regeln mit Zahlsymbolen, aufteilen, einteilen, verteilen usw. dagegen Vorgänge in der realen Mengenwelt. Diese Separierung macht es dann schwierig, Einsichten zu gewinnen: Die Malreihen auswendig zu können, heißt nicht, sie verstanden zu haben. Beim Geteiltrechnen Dividend und Divisor auseinander zu halten, kann nur verstanden werden, wenn klar ist, was auf Mengenebene konkret geschieht.
Welches Verständnis erfordert nun das Mal und das Geteiltrechnen?
Mal- und Geteiltrechnen sind formale Rechenoperationen, die konkrete Mengenoperationen abbilden. Um also Multiplikation und Division zu verstehen, muss verstanden werden, welche Mengenvorgänge damit abbildbar sind. Im Grundschulbereich sind dies auf basaler Ebene für die Multiplikation:
- ein zeitlich-sukzessives Mengenmodell: Eine Handlung, die mit einem zählbaren Vorgang/zählbaren Objekten verbunden ist, mehrmals wiederholen („Peter geht 4 Mal in den Keller und holt jeweils 5 Eier herauf.“).
- ein räumlich-simultanes Mengenmodell: Eine Menge ist in mehrere gleichmächtige Teilmengen disjunkt zerlegt („Im Laden steht eine Kiste mit 4 Netzen mit jeweils 5 Orangen.“).
Welches Verständnis erfordert nun das Geteiltrechnen?
- Aufteilen (Dividend und Divisor beschreiben die gleichen Objekte/tragen die gleiche Einheit):„18 Eier werden in Schachteln zu je 6 Eier verteilt.“
18 Eier : 6 Eier = 3
- Verteilen (Dividend und Divisor beschreiben verschiedene Objekte/tragen unterschiedliche Einheiten)
„30 Bonbons werden an 6 Kinder verteilt.“
30 Bonbons : 6 Kinder = 5 Bonbons pro Kind
30 Bonbons : 6 Kinder = 5 Bonbons pro Kind
In beiden Fällen ist eine mehrfache (fortgesetzte) Subtraktion möglich (Im Fall des Verteilens muss dazu jedoch gedanklich von 6 Kinder auf 6 Bonbons übergegangen werden!).
Und wie hängen nun Mal- und Geteiltrechnen zusammen?
Zentrales Element des Zahlbegriffs und der Addition und Subtraktion ist die Vorstellung eines Teil-Teil-Ganzes-Schemas: Zahlen als Ganzes lassen sich zerlegen in Teile, Teile lassen sich zusammenfügen zu Ganzem und aus der Zahl- respektive Mengenzerlegung und -vereinigung erschließt sich der Zusammenhang zwischen der Addition und Subtraktion. Additive Ergänzung und die Subtraktion sind also Operationen am gleichen Teil-Teil-Ganzes-Schema.
Vorbereitend zur Multiplikation muss dann auch vermittelt werden, dass Zahlen als Ganzes auch in mehr als zwei Teile zerlegbar sind. Aus dem Teil-Teil-Ganzes-Schema wird ein Teile-Ganzes-Schema.
Sind diese Teile wiederum gleichmächtig, dann kann ich die Addition der Teile verkürzen, indem ich multipliziere.
Sind die Teile gleich groß, kann ich multiplizieren, so bald ich weiß, wie viele Teile es gibt und wie groß jedes Teil ist (im Beispiel also: 4x2). Nun ist auch die Umkehrung leicht zu verstehen: Division bedeutet, ein Ganzes in gleichmächtige Teile zu zerlegen. Zur Berechnung benötige ich also das Ganze (also die 8) und entweder die Anzahl der Teile (im Beispiel: 4) oder die Mächtigkeit eines der Teile (also, 2; und damit aller Teile, denn die Randbedingung „Gleichmächtigkeit der Teile“ besteht ja). Wie bei der Addition und Subtraktion sind also auch Multiplikation und Division Operationen am gleichen Schema, dem Teile-Ganzes-Schema als Erweiterung des Teil-Teil-Ganzes-Schemas unter der Randbedingung der Gleichmächtigkeit der Teile. Wird das gleichmächtige Teile-Ganzes-Schema auch als Erweiterung des Teil-Teil-Ganzes-Schema verstanden, dann wird auch klar, dass multiplizieren äquivalent zur fortgesetzten Addition mit gleichem Summanden ist 3x5 ist also 5+5+5).
Fassen wir zusammen zu folgender Lernreihenfolge:
- Aus dem Teil-Teil-Ganzes-Schema (vermittelt im Bereich der Addition und Subtraktion) soll ein Teile-Ganzes-Schema werden: Zahlvereinigung von mehr als zwei Teilen, Zahlzerlegung in mehr als zwei Teile.
- Randbedingung Gleichmächtigkeit der Teile einführen.
- Randbedingung Gleichmächtigkeit der Teile ermöglicht Teile-Ganzes-Schema zur multiplikativen Teile-Ganzes-Schema zu wandeln (also statt 2+2+2+2 = 8, nun 2x4=8): Multiplikation verkürzt die mehrfache Addition mit gleichem Summanden.
- Räumlich-simultane Mengenveränderungen sind Multiplikationssituationen.
- Zeitlich-sukzessive Mengenveränderungen sind Multiplikationssituationen.
- Multiplikatives Teile-Ganzes-Schema ermöglicht Abbildung eines räumlich-simultanen Mengengeschehens
- Multiplikatives Teile-Ganzes-Schema ermöglicht Abbildung eines zeitlich-sukzessiven Mengengeschehens
- Geteiltrechnen ist die Umkehrung der räumlich-simultanen oder der zeitlich-sukzessiven Mengenveränderung.
- Das multiplikative Teile-Ganzes-Schema ermöglicht die einfache Division zu lösen, indem aus dem Wissen um das Ganze und der Teileanzahl auf die Menge pro Teil bzw. aus dem Ganzen und der Menge pro Teil auf die Teileanzahl geschlossen werden kann. Division ist also die Umkehrung der Multiplikation.
- Die Division bildet zwei Sachsituationen ab: Das Aufteilen oder das Einteilen. Aufteilen ist also die Frage nach der Teileanzahl, Einteilen dagegen die Frage nach der Menge pro Teil.
Es sind diese Strukturbeziehungen, die verstanden werden müssen, damit Mal- und Geteiltaufgaben bei Schülern nicht zu inhaltsleeren Floskeln werden.
In einem nächsten Schritt sind dann Automatisierungshilfen zur Unterstützung hilfreich: Das kleine Einmaleins umfasst Reihen, die einfacher behalten werden können als andere:
Mal 1, mal 2 (Verdopplung), mal 5 und mal 10 sind Kernaufgaben, die leichter behalten werden können als z.B. die Siebener-Reihe. Durch Faktorentausch kann ich aber auch Aufgaben schwererer Reihen in leichtere transformieren: statt 5x7 also 7x5 – die leichtere Fünferreihe hilft dann im Lösungsprozess. Mit diesem Trick sind nur noch wenige Aufgaben tatsächlich schwer zu lösen, weil ein Faktorentausch keine Erleichterung bringt: z. B. 7x6 oder 4x9. Die Mehrzahl der Aufgaben des kleinen Einmaleins lässt sich aber auf Kernaufgaben zurückführen.
Es ist jedoch davor zu warnen, solche Lösungstricks zu vermitteln, ohne Einsicht in die Strukturbeziehungen zu geben, denn so würde der Eindruck intensiviert werden, Mal- und später Geteiltrechnen seien ein inhaltsleeres „Regelspiel“. 3x9 kann ich bei gleichem Ergebnis zu 9x3 machen, 9:3 aber nicht zu 3:9. 3x9 ist 9+9+9, 9:3 ist aber 3+3+3.
Lösungstricks sind also als Zwischenschritt zur Automatisierung hilfreich, man muss aber die Strukturzusammenhänge klären, um fehlerhafte Analogien (z. B. 3x9 und 9:3 sind eben nicht Operationen am gleichen Ganzen) zu vermeiden. Im Rahmen einer Rechenförderung sind solche fehlerhaften Überlegungen aufzudecken und am konkreten Anschauungsmaterial das Lösungsvorgehen und die Zusammenhänge zu besprechen. Ein Steckbrett, in dem ich durch 90 Grad-Drehung aus 9x3 ein 3x9 werden lasse, ohne dass sich an den 27 Steckelementen etwas ändert, veranschaulicht die Möglichkeit der Faktorenvertauschung. Die Division als Umkehrung der Multiplikation setzt aber dann am Ganzen an, also der 27, die aufgeteilt oder verteilt wird.
Es gilt demnach Mal- und Geteiltrechnen handlungsorientiert am konkreten Material zu vermitteln, um die korrekten mathematischen Einsichten zu gewinnen. Das vorliegende Übungsmaterial aus der Frodi-Reihe zielt daher auf eine Vermittlung und Übung der vorgenannten inhaltlichen Aspekte ab und erarbeitet handlungsorientiert die Struktur- und Anwendungsaspekte der Multiplikation und Division.
Samstag, 14. Juni 2014
Lernbehinderung, Lernstörung und Lernschwächen: Ist der IQ so wichtig?
Da gehen die Begriffe schon mal durcheinander: "Das Kind ist irgendwie lernbehindert. Hat Legasthenie, glaube ich."
In der Tat ist das auch nicht so leicht auseinander zu halten.
Hier zur Klarstellung:
Eine Lernstörung nimmt zumeist Bezug auf das ICD 10, dem Manual zur Beschreibung von Erkrankungen und Störungsbildern. Hier gibt es ein "Kapitel" zur Beschreibung von Entwicklungsstörungen (F 81.0-F81.3), zu denen auch die Lese-Rechtschreibstörung, die isolierte Rechtschreibstörung, die Rechenstörung sowie die kombinierte Störung aus LRS und Rechnen gehört. Eine isolierte Lesestörung kommt nicht vor.
Zentral ist hierbei eine zur Intelligenz erwartungswidrige Leistung beim Lesen, in der Rechtschreibung oder im Rechnen bei normaler Intelligenz (also IQ über 85). Erwartungswidrig ist die Leistung dann, wenn sie 1,5 Standardabweichungen (manchmal auch "nur" 1,2 Standardabweichungen) von dem abweicht, was aufgrund des IQs zu erwarten wäre.
Eine Lernbehinderung bedeutet vor allem ein IQ, der unter 85, aber über 70 liegt. Ab IQ 69 und kleiner liegt eine geistige Behinderung vor.
Eine Lernschwäche dagegen genügt sich damit, dass keine Lernbehinderung vorliegt, die Leistungen im Lesen, der Rechtschreibung oder dem Rechnen aber unterdurchschnittlich sind. Als unterdurchschnittlich wird dabei zumeist eine Leistung genannt, wenn sie einen Prozentrang kleiner gleich 10, manchmal je nach Definition auch einen PR kleiner 17, aufweist.
Interessant ist schon, wie die Grenzziehung bei der Diskrepanzdefinition variieren kann (1,5 oder 1,2 Standardabweichungen; Prozentrang kleiner 10 oder 17). Vor allem, wenn man dann noch in Betracht zieht, welche Schwankungen sich ergeben, wenn man die Konfidenzintervalle der einzelnen Tests noch mit einbeziehen würde und auch die Validitätsbereiche verschiedener Test ja erheblich differieren können. Zudem:
Ich habe ja schon in anderen Blog-Beiträgen darauf hingewiesen, wie problematisch die Betonung des IQs ist. Aus der Forschung ist bekannt, dass der IQ mit der Schulleistung oft nur um .50 korreliert, weshalb es eigentlich zweckdienlicher wäre, die schulischen Defizite und die kognitiven, emotionalen, motivationalen und sozialen Lernvoraussetzungen zu beschreiben. Das Thema Inklusion wird hier aber vielleicht die Sichtweise in die richtige Richtung verschieben: Statt mit dem Etikett "Lernbehinderung" zu operieren, hilft es zu beschreiben, was zu tun ist, um einen Schüler z. B. mit geringeren Fähigkeiten im Bereich der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit Entlastung zu bieten.
Für die Fragestellung der Lernstörung ist zu überlegen, warum man zur Beratung so sehr eine IQ-Ermittlung benötigt, wenn man aus der Lehrereinschätzung erfährt, dass es keine generalisierte Lernproblematik gibt. Interventionserfolge fundierter, symtomorientierter Trainingsverfahren (für Kriterien siehe z. B. http://akip.uk-koeln.de/studium_und_promotion/masterseminar-kinder-und-jugendlichenpsychotherapie/ise_schultekoerne_2013_rechenstoerung_uebersicht1.pdf; Seite 276) sind eben nicht abhängig vom Zutreffen der Diskrepanzdefinition. Also: Kinder mit LRS oder Rechenschwäche haben egal, ob sie leistungsdiskrepant zur Intelligenz sind oder nicht, die gleichen Symptome und profitieren in gleicher Weise von Fördermaßnahmen (so zumindest Prof. Andreas Gold in seinem Vortrag auf dem Inklusionstag der Uni Göttingen, 13.6.14). Welchen Sinn macht es dann in allen Fällen unbedingt Testverfahren wie den CFT einsetzen zu müssen, nur weil das ICD 10 noch nicht den neuesten Forschungsergebnissen genügt?
Aber das habe ich ja schon anderer Stelle beleuchtet ... (siehe vorhergehende Blogs)
In der Tat ist das auch nicht so leicht auseinander zu halten.
Hier zur Klarstellung:
Eine Lernstörung nimmt zumeist Bezug auf das ICD 10, dem Manual zur Beschreibung von Erkrankungen und Störungsbildern. Hier gibt es ein "Kapitel" zur Beschreibung von Entwicklungsstörungen (F 81.0-F81.3), zu denen auch die Lese-Rechtschreibstörung, die isolierte Rechtschreibstörung, die Rechenstörung sowie die kombinierte Störung aus LRS und Rechnen gehört. Eine isolierte Lesestörung kommt nicht vor.
Zentral ist hierbei eine zur Intelligenz erwartungswidrige Leistung beim Lesen, in der Rechtschreibung oder im Rechnen bei normaler Intelligenz (also IQ über 85). Erwartungswidrig ist die Leistung dann, wenn sie 1,5 Standardabweichungen (manchmal auch "nur" 1,2 Standardabweichungen) von dem abweicht, was aufgrund des IQs zu erwarten wäre.
Eine Lernbehinderung bedeutet vor allem ein IQ, der unter 85, aber über 70 liegt. Ab IQ 69 und kleiner liegt eine geistige Behinderung vor.
Eine Lernschwäche dagegen genügt sich damit, dass keine Lernbehinderung vorliegt, die Leistungen im Lesen, der Rechtschreibung oder dem Rechnen aber unterdurchschnittlich sind. Als unterdurchschnittlich wird dabei zumeist eine Leistung genannt, wenn sie einen Prozentrang kleiner gleich 10, manchmal je nach Definition auch einen PR kleiner 17, aufweist.
Interessant ist schon, wie die Grenzziehung bei der Diskrepanzdefinition variieren kann (1,5 oder 1,2 Standardabweichungen; Prozentrang kleiner 10 oder 17). Vor allem, wenn man dann noch in Betracht zieht, welche Schwankungen sich ergeben, wenn man die Konfidenzintervalle der einzelnen Tests noch mit einbeziehen würde und auch die Validitätsbereiche verschiedener Test ja erheblich differieren können. Zudem:
Ich habe ja schon in anderen Blog-Beiträgen darauf hingewiesen, wie problematisch die Betonung des IQs ist. Aus der Forschung ist bekannt, dass der IQ mit der Schulleistung oft nur um .50 korreliert, weshalb es eigentlich zweckdienlicher wäre, die schulischen Defizite und die kognitiven, emotionalen, motivationalen und sozialen Lernvoraussetzungen zu beschreiben. Das Thema Inklusion wird hier aber vielleicht die Sichtweise in die richtige Richtung verschieben: Statt mit dem Etikett "Lernbehinderung" zu operieren, hilft es zu beschreiben, was zu tun ist, um einen Schüler z. B. mit geringeren Fähigkeiten im Bereich der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit Entlastung zu bieten.
Für die Fragestellung der Lernstörung ist zu überlegen, warum man zur Beratung so sehr eine IQ-Ermittlung benötigt, wenn man aus der Lehrereinschätzung erfährt, dass es keine generalisierte Lernproblematik gibt. Interventionserfolge fundierter, symtomorientierter Trainingsverfahren (für Kriterien siehe z. B. http://akip.uk-koeln.de/studium_und_promotion/masterseminar-kinder-und-jugendlichenpsychotherapie/ise_schultekoerne_2013_rechenstoerung_uebersicht1.pdf; Seite 276) sind eben nicht abhängig vom Zutreffen der Diskrepanzdefinition. Also: Kinder mit LRS oder Rechenschwäche haben egal, ob sie leistungsdiskrepant zur Intelligenz sind oder nicht, die gleichen Symptome und profitieren in gleicher Weise von Fördermaßnahmen (so zumindest Prof. Andreas Gold in seinem Vortrag auf dem Inklusionstag der Uni Göttingen, 13.6.14). Welchen Sinn macht es dann in allen Fällen unbedingt Testverfahren wie den CFT einsetzen zu müssen, nur weil das ICD 10 noch nicht den neuesten Forschungsergebnissen genügt?
Aber das habe ich ja schon anderer Stelle beleuchtet ... (siehe vorhergehende Blogs)
Sonntag, 27. April 2014
Kinder auf dem Weg ins Zehnersystem
Zwei,
Zwölf, Zweiundzwanzig, Zweiunddreißig … - Liebe Leserin,
versuchen Sie einmal aufzulisten, was diese Zahlwörter verbindet und
was sie unterscheidet.
Jamila,
zweite Klasse, hatte von ihrer Lehrerin die gleiche Frage gestellt
bekommen. Und Jamila grübelte lange darüber. „Zwei und Zwölf –
das sind zwei Zahlen. Zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht,
neun, zehn, elf, zwölf.“ Sie zählt an den Fingern mit. „Zehn
weiter, dann habe ich Zwölf.“
Jamila
gibt hier durchaus eine richtige Antwort. Aber was wäre, wenn Jamila
auch in Klasse 3 wenig mehr darauf zu antworten weiß als
durchzuzählen, um dann zehn als Unterschied benennen zu können? Was
also, wenn die Aspekte, die Sie vermutlich als Gemeinsamkeiten und
Unterschiede benannt haben, nicht gesehen werden? Aspekte wie:
- Es gibt einen Unterschied im vollen Zehner, an der Zehnerstelle.
- Es findet eine schrittweise Vergrößerung im Zahlenraum um einen Zehnersprung statt.
- Jede der Zahlen größer Zehn zergliedert sich in einen Einer und einen oder mehrere Zehner.
- Eine Zahl größer Zwölf wird in der Weise gesprochen, dass erst die Einerstelle und dann die Zehner benannt werden, wobei die Zehner sich dadurch kennzeichnen, dass sie sprachlich auf -ig enden.
- …
Wenn
man sich mit Kindern auseinandersetzt, die gravierende
Rechenschwierigkeiten zeigen, also eine hohe Fehleranzahl beim
Addieren und Subtrahieren zeigen, fällt bei vielen auf, dass sie
diese Aufgaben wie Jamila zählend in Einerschritten bewältigen. Es
fehlt eine Einsicht in Strukturzusammenhänge. 3+2 und 3+22 werden
also z. B. als grundlegend verschiedene Aufgaben aufgefasst, wobei
bei der ersten Aufgabe zwei Zählschritte von der Drei ab zu gehen
sind, und 22 Zählschritte bei der zweiten Aufgabe. Eine solche
Vorgehensweise ist kognitiv sehr ressourcenintensiv und birgt dabei
die Gefahr des Verzählens. So vertun sich einige Kinder um Eins,
weil sie von der Drei ab 22 Schritte weiterzählen, dabei aber die
Drei schon als ersten Dazuzähl-Schritt ansehen.
Grund
ist zumeist eine fehlende Einsicht in den Zahlbegriff mit seinen
Zahlzerlegungen und dem Verständnis der Kardinalität von Zahlen
(also: eine Zahl beschreibt eine Anzahl), die sich auch in der
Zehnerbündelung ausdrücken kann: Zehn bedeutet, ich fasse zehn
Einer zu einem Zehner zusammen. Wir können also im Stellenwertsystem
0 bis 9 Einer benennen und wir können 0 bis 9 volle Zehner haben.
Voraussetzung für diese Einsicht ist, den Zahlbegriff bis 10
begriffen zu haben.
Eine
solche Zahlbegriffsschwäche, die zählende Rechner aufweisen, ist
nach Grissemann und Weber (1996, 15f.) eine Ursache für
fingerfixiertes Rechnen, also ein »ungebührlich lange Zeit« an
Fingern als Rechenhilfe gebundenes Rechnen (Lobeck, 1992, 68), das
sich als resistent »gegen jegliches Lehrerbemühen« erweist
(Lorenz, 1989, 8). Moog (1993) ermittelte so auch einen hoch
signifikanten Zusammenhang zwischen der Additionsleistung und der
Abhängigkeit von Anschauungshilfen, zu der das Fingerrechnen neben
dem Abzählen an konkreten Elementen gehört. Eine Folgeuntersuchung
replizierte dieses Ergebnis (Schulz, van Bebber & Moog, 1998): In
der Gruppe mit wenig Fehlern bei der Addition befanden sich auch
signifikant weniger anschauungsgebundene Rechner als in der
leistungsschwächeren Gruppe mit vielen Fehlern. Diese Kinder zeigen
demnach Lernprobleme im Übergang zum internen Operieren. Das Rechnen
bleibt hier auf dem Niveau des Zählvorgangs an konkreten Objekten
stehen.
Zwar
überwinden aus dieser Gruppe viele Kinder mit dem Alter den
offensichtlichen Fingergebrauch (zum Teil aus Scham), es bleibt
jedoch beim Einerschritt-Durchzählen der Aufgaben.
Wie
aber führt man sie davon weg? Wenn wir uns mit dieser Frage
beschäftigen wollen, dann ist es wichtig sich vor Augen zu führen,
mit welcher Schülergruppe wir uns beschäftigen. Es geht hierbei um
Kinder, die im Vergleich zu ihren Mitschülern beim Addieren und
Subtrahieren weniger Aufgaben schaffen und mehr Fehler dabei zeigen.
Um überhaupt Lösungen zu erhalten, rechnen sie zählend. Es geht
also nicht darum, den mathematischen Anfangsunterricht zu
konzipieren, um präventiv einen zählenden Zugang zu vermeiden,
sondern sich mit den Schülern zu beschäftigen, die sich bereits
kompensatorisch mühen, indem sie zählen.
Diesen
Schülern Hilfestellung anzubieten, bedeutet ihre zählende
Arbeitsweise aufzugreifen, um sie davon wegführen zu können. Es
bedeutet nicht, das Zählen ersatzlos zu verbieten, sondern das
zählende Rechnen zunächst zu systematisieren, um dann eine Ablösung
davon anzubahnen. Der Einsatz geeigneter Veranschaulichungsmittel
dient dabei dem Ziel, eine solche Systematisierung zu erwirken. Die
Veranschaulichungsmittel dienen nun dazu, den „kindlichen
Ablösungsprozess vom zählenden Rechnen zu unterstützen“ (Radatz,
u. a., 1996, S. 40).
Mit
dieser Formulierung wird vor allem eins betont:
Die
Ablösung kann nur vom Kind geleistet werden. Das
Veranschaulichungsmittel, das es unter Anleitung des Lehrers
verwendet, kann es nur dabei unterstützen. Unterstützung bedeutet
in diesem Fall, dass das Arbeitsmittel dem Kind eine Alternative
bietet. Es soll die Einsicht gewinnen, dass man mit dessen Hilfe
sicher und flink ohne Zählen rechnen kann.
Somit
sollte dieses Arbeitsmittel also zur Systematisierung des Zahlaufbaus
beitragen:
- Einzelne zählbare Einheiten müssen am Arbeitsmittel erkennbar sein, damit zunächst auch zählendes Rechnen ermöglicht wird. Die bisherigen Erfahrungen der Kinder beruhen in der Regel auf einem Abzählen an den Fingern. Lässt nun das Arbeitsmittel zählendes Rechnen zu, so ermöglicht es allen Schülern, ihr Vorwissen einzubringen und eigene Strategien zunächst beizubehalten bzw. zu korrigieren. Nur so kann im Kind eine positive Grundeinstellung zum Arbeitsmittel aufgebaut werden, welche die Voraussetzung für die Übernahme der Strukturen ist.
- Anzahlen bis 5 müssen auf dem Arbeitsmittel simultan erfasst werden können.
- Eine Zehnerstrukturierung sollte durch das Arbeitsmittel möglich sein, da unser Zahlsystem ein dekadisches Stellenwertsystem ist. Das Arbeitsmittel sollte es ermöglichen, dass der Zehner ohne Zählen als Ganzheit wahrgenommen wird. So können auch die Anzahlen 9 (eins weniger 10) und 8 (zwei weniger 10) aber auch 29 (eins weniger 30) quasi-simultan erfasst werden.
Bei
den Anzahlen 6 und 7 muss jedoch gezählt werden, da ihr Bezug zur 10
nicht mehr offensichtlich und augenscheinlich ist. Deshalb bietet
sich eine weitere Unterteilung nach 5 an. Krauthausen spricht von der
„Kraft der 5“ (Krauthausen, 1995, S. 87)
Welche
Vorteile bietet die 5?
- Größere Anzahlen können quasi-simultan erfasst werden, z.B. 6 = 5 + 1; 7 = 5 + 2 aber auch 73 = 50 + 20 + 3. Deshalb sollte eine Unterteilung jeweils nach 5 Einzelnen, aber auch nach 50 getroffen werden.
- Die Zahlzerlegungen können auf die 5 bezogen werden.
- Die Fünferstruktur ist auch auf größere Zahlenräume übertragbar.
Abb.:
Material aus dem Hamburger Zahlbegriffs- und Rechenaufbau (HamZaRa)
Ein
Beispiel für den geeigneten Einsatz von Veranschaulichungen ist das
Material des Programms
HamZaRa. Es wurde
von Heidrun Claus und Jochen Peter zur Förderung des Zahl- und
Rechenverständnisses im Zahlenraum bis 10 entwickelt. Da die Finger
ein natürliches und immer verfügbares Hilfsmittel zum Rechnen sind
und den Zehnerraum in zwei Fünfern darstellen, schlagen die Autoren
vor, mit den Fingern zu rechnen – aber richtig! „Tatsächlich
sind sie hervorragend geeignet, die mathematischen Sachverhalte und
Zusammenhänge, die in der Auseinandersetzung mit dem Zahlenraum bis
10 zu erlernen sind, gegenständlich darzustellen“ (Claus/Peter
2005, 20).
Die
Fingerbilder sollen in visueller Form deutlich machen, dass in der
jeweiligen Zahl andere, kleinere Zahlen enthalten sind. Das
Fingerbild der Drei zeigt z.B. sofort, dass zur Fünf noch zwei
Finger fehlen und bis zur Zehn dagegen noch sieben Finger fehlen. An
den Fingerbildern werden sozusagen Beziehungen zwischen den Zahlen
ablesbar. „Damit werden nicht nur wichtige quantitative Beziehungen
dieser Zahlen anschaulich erfassbar, sie tragen zugleich unmittelbar
zur Prägnanz und Einprägsamkeit des jeweiligen Mengenbildes bei
(Claus/Peter, 2005 21).
Die
Strukturierung, die mit diesem oder anderen geeignetem Material
vorgegeben wird, ist also eine wichtige Voraussetzung dafür, dass
das Kind vom zählenden Rechnen weggeführt wird und in ihm geeignete
visuelle Vorstellungsbilder entstehen. „Hilfe können nur die
Arbeitsmittel und Veranschaulichungen bieten, die die mathematische
Struktur möglichst klar widerspiegeln, also der Vorstellung nützlich
sind und zum Aufbau mentaler Bilder beitragen.“ (Scherer, 1995, S.
409).
Fünfer-
und Zehnerstrukturierung sind demnach Zielsetzungen, die mit dem
Einsatz von Veranschaulichungsmitteln angebahnt werden sollen. Es ist
das Arbeiten mit den Darstellungsmitteln, das unter Anleitung die
Schüler vom zunächst noch zählendem Zugang zum Rechnen zu
ökonomischeren Verfahren führen soll.
- Beispiel: 17 + 8 =
Statt
nun acht einzelne Schritte von der 17 aus weiterzugehen, ist es
hilfreich zu erkennen, dass wir einen vollen Zehner haben und einem
Fünfer plus zwei (= 17), zu denen ein Achter kommen soll. Die Zwei
kann zu einem weiteren Fünfer aufgefüllt werden, indem ich von den
Acht drei dazufüge. Dann habe ich zwei nun Fünfer, also einen
weiteren Zehner. Es verbleiben von den Acht noch fünf, die zu den
jetzt zwei Zehnern dazukommen. Also ist das Ergebnis 25.
Das
Argument, dieses Vorgehen sei doch komplexer als in Einerschritten
weiter zu gehen, verkennt, dass es klar an Vorteil gewinnt, wenn der
zweite Summand nicht Acht sondern z. B. 57 heißt.
Erst
die Diskussion der Lösungswege anhand der Veranschaulichungsmittel
schafft eine vertiefte Einsicht in mathematische Strukturen. Bei der
Ergänzungsaufgabe von der 28 aus hoch bis zur 54 zu zählen, ist
dann im Förderprozess vielleicht irgendwann einmal eine Methode, die
der Schüler zwar als nicht falsch erkennt, aber eine, die als
deutlich komplizierter betrachtet wird, als die Nutzung von
Zahlzusammenhängen und der Nutzung von Fünfer- und
Zehnerstrukturen.
Literatur:
Claus,
H. & Peter, J. (2005). Finger, Bilder, Rechnen. Förderung des
Zahlverständnisses im Zahlenraum bis 10. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht.
Grissemann,
H. & Weber, A. (1996). Grundlagen und Praxis der
Dyskalkulietherapie. 2. Auflage. Bern: Huber.
Krauthausen,
G. (1995). Die „Kraft der Fünf“ und das denkende Rechnen - Zur
Bedeutung tragfähiger Vorstellungsbilder im mathematischen
Anfangsunterricht. In: G. N. Müller/E. C. Wittmann (Hg.): Mit
Kindern rechnen, S. 87-108. Bd. 96. Frankfurt/M.: Arbeitskreis
Grundschule.
Lobeck,
A. (1992). Rechenschwäche. Geschichtlicher Rückblick, Theorie und
Therapie. Luzern: Edition SZH.
Lorenz,
J.H. (1989). Rechenstörungen früh erkannt und ausgeglichen. Die
Grundschule, 12, 33-35.
Moog,
W. (1993a). Schwachstellen beim Addieren - Eine Erhebung bei
lernbehinderten Sonderschülern. Zeitschrift für Heilpädagogik, 44,
534-554.
Radatz,
H., Schipper, W., Dröge, R. & Ebeling, A. (1996). Handbuch für
den Mathematikunterricht 1. Schuljahr. Hannover: Schroedel.
Scherer,
P. (1995). Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht der Schule für
Lernbehinderte. Heidelberg. Schindele.
Schulz,
A., van Bebber, N. & Moog, W. (1998). Mathematische
Basiskompetenzen lernbehinderter Sonderschüler - Eine Erhebung mit
dem Dortmunder Rechentest für die Eingangsstufe. Zeitschrift für
Heilpädagogik, 49, 402-411.
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