Samstag, 14. Juni 2014

Lernbehinderung, Lernstörung und Lernschwächen: Ist der IQ so wichtig?

Da gehen die Begriffe schon mal durcheinander: "Das Kind ist irgendwie lernbehindert. Hat Legasthenie, glaube ich."

In der Tat ist das auch nicht so leicht auseinander zu halten. 

Hier zur Klarstellung:
Eine Lernstörung nimmt zumeist Bezug auf das ICD 10, dem Manual zur Beschreibung von Erkrankungen und Störungsbildern. Hier gibt es ein "Kapitel" zur Beschreibung von Entwicklungsstörungen (F 81.0-F81.3), zu denen auch die Lese-Rechtschreibstörung, die isolierte Rechtschreibstörung, die Rechenstörung sowie die kombinierte Störung aus LRS und Rechnen gehört. Eine isolierte Lesestörung kommt nicht vor.

Zentral ist hierbei eine zur Intelligenz erwartungswidrige Leistung beim Lesen, in der Rechtschreibung oder im Rechnen bei normaler Intelligenz (also IQ über 85). Erwartungswidrig ist die Leistung dann, wenn sie 1,5 Standardabweichungen (manchmal auch "nur" 1,2 Standardabweichungen) von dem abweicht, was aufgrund des IQs zu erwarten wäre.

Eine Lernbehinderung bedeutet vor allem ein IQ, der unter 85, aber über 70 liegt.  Ab  IQ 69 und kleiner liegt eine geistige Behinderung vor.

Eine Lernschwäche dagegen genügt sich damit, dass keine Lernbehinderung vorliegt, die Leistungen im Lesen, der Rechtschreibung oder dem Rechnen aber unterdurchschnittlich sind. Als unterdurchschnittlich wird dabei zumeist eine Leistung genannt, wenn sie einen Prozentrang kleiner gleich 10, manchmal je nach Definition auch einen PR kleiner 17, aufweist.

Interessant ist  schon, wie die Grenzziehung bei der Diskrepanzdefinition variieren kann (1,5 oder 1,2 Standardabweichungen; Prozentrang kleiner 10 oder 17). Vor allem, wenn man dann noch in Betracht zieht, welche Schwankungen sich ergeben, wenn man die Konfidenzintervalle der einzelnen Tests noch mit einbeziehen würde und auch die Validitätsbereiche verschiedener Test ja erheblich differieren können. Zudem:

Ich habe ja schon in anderen Blog-Beiträgen darauf hingewiesen, wie problematisch die Betonung des IQs ist. Aus der Forschung ist bekannt, dass der IQ mit der Schulleistung oft nur um .50 korreliert, weshalb es eigentlich zweckdienlicher wäre, die schulischen Defizite und die kognitiven, emotionalen, motivationalen und sozialen Lernvoraussetzungen zu beschreiben. Das Thema Inklusion wird hier aber vielleicht die Sichtweise in die richtige Richtung verschieben: Statt mit dem Etikett "Lernbehinderung" zu operieren, hilft es zu beschreiben, was zu tun ist, um einen Schüler z. B. mit geringeren Fähigkeiten im Bereich der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit Entlastung zu bieten.

Für die Fragestellung der Lernstörung ist zu überlegen, warum man zur Beratung so sehr eine IQ-Ermittlung benötigt, wenn man aus der Lehrereinschätzung erfährt, dass es keine generalisierte Lernproblematik gibt. Interventionserfolge fundierter, symtomorientierter Trainingsverfahren (für Kriterien siehe z. B. http://akip.uk-koeln.de/studium_und_promotion/masterseminar-kinder-und-jugendlichenpsychotherapie/ise_schultekoerne_2013_rechenstoerung_uebersicht1.pdf; Seite 276) sind eben nicht abhängig vom Zutreffen der Diskrepanzdefinition. Also: Kinder mit LRS oder Rechenschwäche haben egal, ob sie leistungsdiskrepant zur Intelligenz sind oder nicht, die gleichen Symptome und profitieren in gleicher Weise von Fördermaßnahmen (so zumindest Prof. Andreas Gold in seinem Vortrag auf dem Inklusionstag der Uni Göttingen, 13.6.14). Welchen Sinn macht es dann in allen Fällen unbedingt Testverfahren wie den CFT einsetzen zu müssen, nur weil das ICD 10 noch nicht den neuesten Forschungsergebnissen genügt?

Aber das habe ich ja schon anderer Stelle beleuchtet ... (siehe vorhergehende Blogs)